Donnerstag, 10. Oktober 2013

BUDDHISMUS UND TOLERANZ



"Ist der Buddhismus wirklich so tolerant, wie es immer heisst?"



Bevor ich mich bemühe, eine Antwort auf diese häufig gestellte Frage zu formulieren, möchte ich vorausschicken:
Eine jede Weltanschauung, ist nur so tolerant, wie die Menschen die sie repräsentieren. Auch gibt es genau genommen DEN Buddhismus nicht, sondern eine Vielzahl verschiedener Strömungen, die sich mitunter erheblich voneinander unterscheiden. Es scheint aber doch eine gewisse Offenheit zu geben, die Buddhistinnen und Buddhisten unterschiedlicher Strömungen eint, die wohl zum buddhistischen Ursubstrat gehört. Daher erlaube ich mir im Folgenden doch von DEM Buddhismus zu sprechen. Woher kommt diese viel zitierte Offenheit?

Zur Veranschaulichung erlaube ich mir aus Buddhas "Rede an die Kalamer", wie sie im Pali Kanon überliefert wurde, zu zitieren:

"(...) Zur Seite sitzend, sprachen nun die Kālāmer aus Kesaputta zum Erhabenen also:
»Es kommen da, o Herr, einige Asketen und Brahmanen nach Kesaputta; die lassen bloß ihren eigenen Glauben leuchten und glänzen, den Glauben anderer aber beschimpfen, schmähen, verachten und verwerfen sie. Wieder andere Asketen und Brahmanen kommen nach Kesaputta, und auch diese lassen bloß ihren eigenen Glauben leuchten und glänzen, und den Glauben anderer beschimpfen, schmähen, verachten und verwerfen sie. Da sind wir denn, o Herr, im Unklaren, sind im Zweifel, wer wohl von diesen Asketen und Brahmanen Wahres, und wer Falsches lehrt.« -
»Recht habt ihr, Kālāmer, daß ihr da im Unklaren seid und Zweifel hegt. In einer Sache, bei der man wirklich im Unklaren sein kann, ist euch Zweifel aufgestiegen.
Geht, Kālāmer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters! Wenn ihr aber, Kālāmer, selber erkennt: 'Diese Dinge sind unheilsam, sind verwerflich, werden von Verständigen getadelt, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Unheil und Leiden', dann o Kālāmer, möget ihr sie aufgeben. (...)"

Die Aufforderung, die eigene Urteilskraft einzusetzen und diese sogar über die Autorität heiliger Schriften oder eines Meisters zu stellen (!) beschränkt sich im weiteren Verlauf der Rede nicht auf die Frage des Ablehnens fremder Lehren, sie beziehts ich ebenso darauf, Heilsames von anderen anzunehmen:

"Geht, Kālāmer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters! Wenn ihr aber, Kālāmer, selber erkennt: 'Diese Dinge sind heilsam, sind untadelig, werden von den Verständigen gepriesen, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Segen und Wohl', dann, o Kālāmer, möget ihr sie euch zu eigen machen."

Getragen von diesem Geist, der persönliche Einsicht und Vernunft betont und grundsätzlich Neuem gegenüber aufgeschlossen ist, konnte der Buddhismus in vielen Ländern von vorbuddhistischer Weisheit profitieren. So floss etwa in den chinesischen Chan auch daoistisches und konfuzianisches Gedankengut ein. Der Buddhismus verteufelt nicht pauschal das Andere, er prüft es stattdessen und findet er es heilsam, so integriert er es. Bis zum heutigen Tag.

Der Buddhismus ist nicht ausschließend. Er will sich nicht aufdrängen, sondern verschenkt sich eher. Jemand kann auch als Atheist, Christ, Moslem,... (was auch immer) in einen buddhistischen Tempel kommen, an Meditationen teilnehmen und von buddhistischer Lebensweisheit profitieren, ohne das Gefühl zu entwickeln in Richtung Konversion gedrängt zu werden. In diesem Sinne kann ich nur bestätigen, dass dem Buddhismus tatsächlich ein großes Toleranzpotential innewohnt.
die rede an die kalamer ist hier vollständig nachlesbar http://www.palikanon.com/angutt/a03_062-066.html