"Ist
der Buddhismus wirklich so tolerant, wie es immer heisst?"
Bevor
ich mich bemühe, eine Antwort auf diese häufig gestellte Frage zu
formulieren, möchte ich vorausschicken:
Eine
jede Weltanschauung, ist nur so tolerant, wie die Menschen die sie
repräsentieren. Auch gibt es genau genommen DEN Buddhismus nicht,
sondern eine Vielzahl verschiedener Strömungen, die sich mitunter
erheblich voneinander unterscheiden. Es scheint aber doch eine
gewisse Offenheit zu geben, die Buddhistinnen und Buddhisten
unterschiedlicher Strömungen eint, die wohl zum buddhistischen
Ursubstrat gehört. Daher erlaube ich mir im Folgenden doch von DEM
Buddhismus zu sprechen. Woher kommt diese viel zitierte Offenheit?
Zur
Veranschaulichung erlaube ich mir aus Buddhas "Rede an die
Kalamer", wie sie im Pali Kanon überliefert wurde, zu zitieren:
"(...)
Zur Seite sitzend, sprachen nun die Kālāmer aus Kesaputta zum
Erhabenen also:
»Es
kommen da, o Herr, einige Asketen und Brahmanen nach Kesaputta; die
lassen bloß ihren eigenen Glauben leuchten und glänzen, den Glauben
anderer aber beschimpfen, schmähen, verachten und verwerfen sie.
Wieder andere Asketen und Brahmanen kommen nach Kesaputta, und auch
diese lassen bloß ihren eigenen Glauben leuchten und glänzen, und
den Glauben anderer beschimpfen, schmähen, verachten und verwerfen
sie. Da sind wir denn, o Herr, im Unklaren, sind im Zweifel, wer wohl
von diesen Asketen und Brahmanen Wahres, und wer Falsches lehrt.« -
»Recht
habt ihr, Kālāmer, daß ihr da im Unklaren seid und Zweifel hegt.
In einer Sache, bei der man wirklich im Unklaren sein kann, ist euch
Zweifel aufgestiegen.
Geht,
Kālāmer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht
nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften,
nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht
nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem
Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines
Meisters! Wenn ihr aber, Kālāmer, selber erkennt: 'Diese Dinge sind
unheilsam, sind verwerflich, werden von Verständigen getadelt, und,
wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Unheil und Leiden',
dann o Kālāmer, möget ihr sie aufgeben. (...)"
Die
Aufforderung, die eigene Urteilskraft einzusetzen und diese sogar
über die Autorität heiliger Schriften oder eines Meisters zu
stellen (!) beschränkt sich im weiteren Verlauf der Rede nicht auf
die Frage des Ablehnens fremder Lehren, sie beziehts ich ebenso
darauf, Heilsames von anderen anzunehmen:
"Geht,
Kālāmer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht
nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften,
nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht
nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem
Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines
Meisters! Wenn ihr aber, Kālāmer, selber erkennt: 'Diese Dinge sind
heilsam, sind untadelig, werden von den Verständigen gepriesen, und,
wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Segen und Wohl',
dann, o Kālāmer, möget ihr sie euch zu eigen machen."
Getragen
von diesem Geist, der persönliche Einsicht und Vernunft betont und
grundsätzlich Neuem gegenüber aufgeschlossen ist, konnte der
Buddhismus in vielen Ländern von vorbuddhistischer Weisheit
profitieren. So floss etwa in den chinesischen Chan auch daoistisches
und konfuzianisches Gedankengut ein. Der Buddhismus verteufelt nicht
pauschal das Andere, er prüft es stattdessen und findet er es
heilsam, so integriert er es. Bis zum heutigen Tag.
Der
Buddhismus ist nicht ausschließend. Er will sich nicht aufdrängen,
sondern verschenkt sich eher. Jemand kann auch als Atheist, Christ,
Moslem,... (was auch immer) in einen buddhistischen Tempel kommen, an
Meditationen teilnehmen und von buddhistischer Lebensweisheit
profitieren, ohne das Gefühl zu entwickeln in Richtung Konversion
gedrängt zu werden. In diesem Sinne kann ich nur bestätigen, dass
dem Buddhismus tatsächlich ein großes Toleranzpotential innewohnt.
die rede an die kalamer ist hier vollständig nachlesbar http://www.palikanon.com/angutt/a03_062-066.html
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